Textauszug, Seite 143:

 

Ruhe und (An-)Sturm

 

 

Ruhe. Der El-Hierro-Reisende sucht sie. Ruhe als das Gegenteil von lauter Geschäftigkeit. Als Stille ist sie die Abwesenheit alles Lauten. Wer tagsüber nach La Estaca hinunterfährt hat beides: Ruhe, Stille, aber vielleicht auch ein Gefühl von Leere. Die Leere wirkt noch lee­rer in weiten Räumen. La Estaca hat die großen Abmessungen für ein solches Gefühl.

 

Und dann sind sie da, die Kreuzfahrer. Jetzt, ab Oktober, beginnt die Saison der modernen Seefahrer. Sie kommen nicht mit einem Verband von Karawellen, sondern mit großen Ocean-Linern. Die haben verschiedene Label. Eines heißt gerade Aida. Wenn die Urlauber aus dem Schiff strömen, wird klar, wie weit­sichtig der Hafenarchitekt war. Die sonst leere Kaifläche nimmt das Gewimmel gut auf, und der Besucherstrom bewegt sich zielsicher zu den wartenden Bussen. Ralf, Rieke, Dirk und Sabine begrüßen die Inselgäste. Und dann setzt sich schon ein Bus nach dem andern in Bewegung, und es geht für den heutigen Landausflug bergan.

 

Die Insel kann endlich ihre touristische Potenz herzeigen. Die Busse gleiten über die gut ausgebauten Inselstraßen, die einheimi­schen Führer können ihre Begeisterung für die Inselschönheiten wei­tergeben, die Miradores erleben einen Kapazitäts-Check in Massen­tauglichkeit, und manches Restaurant beweist sein bisher verheim­lichtes Fassungsvermögen, indem es Hinterzimmer und Innenhof öffnet. Wenn die Karawane am Spätnachmittag nach La Estaca zurückkehrt, nehmen die Ausflügler nach jeweiligem Temperament ihre Eindrücke von der kleinsten der Kanareninseln mit an Bord, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass mancher Tagebucheintrag davon handelt, El Hierro doch in Zukunft einmal für mehr als nur einen Tag lang zu besuchen. Plötzlich ist sie präsent, die kleinste der Inseln der Glückseligen, die westlichste des Makaronesiens der antiken Griechen, die Isla Nada des Victor Álamo de la Rosa.