Zurück auf El Hierro

Titelbild: Los Sargos - Blick zu den Roques del Salmor
Titelbild: Los Sargos - Blick zu den Roques del Salmor

Bonus-Kapitel: Ein neuer Blick auf den Atlantik

 

Amphittheater mit Vulkan der Cumbre Vieja

 

Am 58. Tag des Vulkanausbruchs auf La Palma sitzt Carlos erstmals auf einer wirklichen Bank. Bisher hatte ihm sein Freund, der Autor Emil Franke, für sein letztes El-Hierro-Buch eine fiktive Bank mit Blick auf den Atlantik angedichtet.

 

Fran, der mit vollem Namen - wie sein Papst - Franziskus heißt, hat sie ganz oben an die Stützmauer der einem Amphitheater ähnlichen Hang-Finca im Norden El Hierros getischlert und fest verankert. Fran, der sich selbst bescheiden einen Trabajador nennt, ja das ist er natürlich auch, und was für einer, Fran ist ein Künstler, unter dessen Händen alles, was er auf dieser Finca anfasst, zum Kunstwerk gelingt. Seine Mauern, Treppen, Garteneinfriedungen, Laubengänge, Treppengeländer, alles aus Materialien der Insel, vor allem Lavastein, Holz und Palmwedeln, fügen sich unauffällig kunstvoll und harmonisch in die Gegebenheit der Landschaft ein.

 

So nun auch diese Bank. Ganz oben am theaterähnlichen Hang. Ein Platz zum Ausruhen, Beobachten, Nachdenken. Die Sitzreihen der gedachten Cavea sind die Terrassen. Sie beginnen mit den bunten Geranien zu seinen Füßen, setzen sich nach unten hin mit Reihen von Kanarenpalmen, Dragos, Yuccas, Bananenstauden und so weiter fort, bis der Blick bei den Opuntien die Elemente von Orchestra und Skene erreicht. Noch weiter hinten schweift der Blick zu den schlanken Säulen der Cardones. Dahinter geht die Lavaküste mit einem weißen Brandungsschaum direkt in das dunkle Blau des weiten Meeres über. Ungewohnt windstill ist es heute, nur beruhigendes ständiges Brandungsrauschen dringt an Carlos Ohren.

 

Über ihm vorbeiziehende Wolken. Alle auf derselben Höhe, die Meteorologen wohl ziemlich genau bestimmen könnten. Wolken auf unsichtbaren Isobaren? Vor einem scharfen Horizont ein aschgraues Band und geradeaus eine einzelne weiße Wolke. So sehen Wolkengebilde über den Kühltürmen von Kraftwerken aus. Das ist La Palma. Das Kraftwerk ist der aktive Vulkan am 58. Tag seines Ausbruchs.

 

Ganz früh hatte man noch die Silhouette der Caldera de Tamburiente gut erkennen können. Sie ist etwa 2400 Meter hoch. Links davon die Dampfwolke des neuen Vulkans auf der Cumbre Vieja. Näher dran ist man mit Instagram, wo time.es tagesaktuell in spektakulären Bildern berichtet, wie die Schlote rotglühende Lava ausstoßen und voluminöse Aschewolken in die Höhe schleudern, feuerrote Lavaströme zum Meer hinfließen, um dann weiße Dampfwolken bildend über die neu gebildete Landzunge ins Meer zu fließen. Der neue Vulkan hat jetzt - Mitte November - 1050 Meter über Meereshöhe erreicht.

 

Das Meer hat heute keine Schaumkronen. Aus der Höhe wirkt es fast glatt. Mehrere Fischerboote schaukeln in der leichten Dünung. Mit seinem neuen Steiner-Glas versucht Carlos die Arbeit der Fischer zu beobachten. Die großen Angelruten sind nur zu erahnen. Beobachten braucht Zeit und Geduld. Und dann der Lohn: Ein Boot hat einen großen Fisch an der Angel. Aus der Ferne betrachtet scheint er fast ein Drittel der Bootslänge auszumachen. Es kann wohl nur ein Thun sein. Das Boot dreht sich mit der nahen Beute, mal nach links, dann wieder zur rechten Bordseite. Wie werden die Männer den Fang ins Boot bekommen? Der alte Mann und das Meer? Das wünscht er ihnen nicht.

 

Das nun besonders kräftige Schaukeln des Bootes erinnert Carlos an seine lästigen Erfahrungen mit der Seekrankheit. Sie trifft ihn immer wieder auf den schaukelnden Fährbooten der Naviera Armas zwischen Teneriffa und El Hierro. Aber jetzt hat er ein ganz anderes Bild vor Augen. Er muss spontan an seinen Großvater denken, der nach dem Ersten Weltkrieg an der Ostseeküste nach einer neuen Betätigung suchte und es mit dem Fischfang versuchen wollte.

 

Das abenteuerliche Leben seines Großvaters hatte ihn schon immer interessiert. Der war, seinen älteren Brüdern folgend, mit Fünfzehn nach den USA ausgewandert, zwei Jahre später nach dem heutigen Namibia weitergewandert, hatte sich beim Bahnbau von Swakopmund nach Windhuk zum Bahnbeamten hochgearbeitet und musste genau deshalb nach Ende des ersten Weltkrieges seine Wahlheimat gegen seinen Willen verlassen. Denn als Beamter gehörte er zum Kreis derjenigen Deutschen, für die die Engländer die Ausweisung beschlossen hatten. Zwar hatte man ihn in Berlin im Kolonialministerium an einen Schreibtisch gesetzt, aber so hatte sich der nun Neununddreißigjährige sein weiteres Leben nicht vorgestellt. Er war die Arbeit an frischer Luft gewohnt, möglichst selbständig und frei von einengender Bevormundung. Für jemanden, der an der Kieler Förde aufgewachsen und die Sandstrände bei Swakopmund geliebt hatte, könnte die Fischerei an der mecklenburgischen oder der vorpommerschen Ostseeküste vielleicht ein neues Betätigungsfeld sein. Der Versuch war sehr schnell kläglich geendet. Großvater hatte den schwankenden Arbeitsplatz völlig falsch eingeschätzt. Er war so seekrank geworden, dass er nach anderen Möglichkeiten suchen musste.

 

Daran muss sein Enkel beim Anblick der Fischerboote im ständigen Auf-und-Ab der in der Dünung denken. Und seine eigenen Erfahrungen auf der Fähre zwischen Los Christianos und La Estaca, dieses sich ankündigende Erbrechen, die darauffolgende Sauerei und der ganze Ekel verbinden sich beim Anblick der schwankenden Boote mit dieser Erinnerung an seinen Großvater.

 

Wie der Fischer den Thunfisch ins Boot geholt hat, das hat Carlos über seine abschweifenden Gedanken nun nicht mitbekommen. Jedenfalls tuckern die Fischer jetzt, hoffentlich erfolgreich, Richtung La Estaca zurück.

 

(15.11.2021)

 

Energie-autonom?

El Hierro hat sich ein Höchstmaß an Ökologie und einen grünen Tourismus auf die Fahnen geschrieben und bereits Vieles erreicht. Sie ist Biosphärenreservat und hat ausgedehnte Meeresschutzzonen. Auch wenn der Traum einer völlig energieautarken Insel letztlich wohl nicht erfüllbar sein wird, ist mit dem Vorzeigeprojekt des Parque Eólico ein starker Schritt zu einem solchen Ziel gelungen.

Je nach Betrachtungsweise und politischer Verortung wechseln allerdings Euphorie und Kritik einander ab. Denn ganz ohne Diesel, wie von Manchem erwartet, geht es weiterhin nicht.

 


Helios - der Lauf des Sonnenwagens

Jedenfalls deutete sich hinter dem Hauptgebäude von Cuesta Verde das Nahen der Gigantengöttin Eos, der Morgenröte, an. Wie üblich würde sie ihren Bruder Helios ankündigen, der bald darauf mit seinem von vier Rossen gezogenen Sonnenwagen am östlichen Meereshorizont auftauchte. Und nun käme es lediglich auf das Wetter an, also ob Dunst oder schön verteilte Wolken am Osthimmel stünden, ob der gigantische Gott seinen Wagen durch die Explosion eines Farbrausches zwischen Rosa, Gelb und Feuerrot in die Himmelshöhe lenken würde, oder ob er langsam durch morgendlichen Dunststaub, gewissermaßen gemächlich, herankäme, bevor er den Himmel über der Insel wie erwartet erhellen würde.

 


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Inhaltsverzeichnis, Vorwort & Glossar
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Plátano oder banana

A beautiful bunch a' ripe banana
Daylight come and me wonna go home

Work all night on a drink a' rum
Daylight come and me wonna go home

Come Mister Tally man, tally me banana
Daylight come and me wonna go home. …

 

Mein Gott, wie lange ist das her? Wann habe ich Harry Belafontes Banana-Boat-Song zum ersten Mal gehört, sinniert Carlos vor sich hin, als er bei seinem morgendlichen Gang über den oberen Teil der Finca den Reifegrad der prallen Bananenbüschel inspiziert.